
Homeoffice auf dem Land: Eine neue Ära der Arbeitswelt
Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt in Deutschland grundlegend verändert. Was einst als Ausnahme galt, wurde innerhalb weniger Wochen zur Regel: das Arbeiten von zuhause. Unternehmen aller Branchen und Größen mussten ihre Strukturen anpassen, und digitale Tools sowie flexible Arbeitszeiten wurden zur neuen Normalität. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) könnten bis zu 25 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten. Diese Entwicklung eröffnet nicht nur Arbeitnehmer:innen neue Möglichkeiten, sondern auch ländlichen Regionen, die durch den Wegfall täglicher Pendelwege an Attraktivität gewinnen. Besonders in Schleswig-Holstein zeigt sich, wie Homeoffice strukturschwache Gebiete neu beleben kann.
Der ländliche Raum als Gewinner des Homeoffice-Booms
Schleswig-Holstein ist geprägt von einer einzigartigen Landschaft zwischen Nord- und Ostsee. Doch abseits der touristisch geprägten Küstenregionen haben viele Landkreise wie Dithmarschen, Steinburg oder der Südosten des Landes in den letzten Jahrzehnten wirtschaftliche Strukturverluste erlitten. Abwanderung junger Menschen, ein Rückgang der Arbeitsplätze und eine alternde Bevölkerung haben vielerorts Spuren hinterlassen. Gleichzeitig bieten diese Regionen jedoch Vorteile, die in urbanen Zentren zunehmend rar werden: bezahlbaren Wohnraum, naturnahe Lebensqualität und ein entschleunigtes Lebensumfeld.
Mit dem Aufschwung des Homeoffice rücken diese Vorteile stärker in den Fokus. Menschen, die nicht mehr täglich ins Büro pendeln müssen, können ihren Wohnort freier wählen. Besonders junge Familien aus Großstädten wie Hamburg entdecken das Binnenland von Schleswig-Holstein als Alternative zum teuren und hektischen Stadtleben. Die Nachfrage nach Immobilien in ländlichen Gegenden ist deutlich gestiegen, was auf eine grundlegende Veränderung der Wohnortwahl hinweist: Statt allein die Nähe zum Arbeitsplatz entscheiden nun Faktoren wie digitale Erreichbarkeit, soziale Infrastruktur und Lebensqualität über den Wohnort.
Digitale Infrastruktur: Fortschritte und Herausforderungen
Ein zentraler Faktor für die Attraktivität ländlicher Regionen ist die digitale Infrastruktur. Schleswig-Holstein hat hier im bundesweiten Vergleich eine Vorreiterrolle eingenommen: Rund 70 Prozent der Haushalte sind bereits mit Glasfaseranschlüssen ausgestattet – ein Wert, der weit über dem Bundesdurchschnitt liegt. Dennoch gibt es regionale Unterschiede. Während einige Gemeinden nahezu flächendeckend versorgt sind, hinken andere noch hinterher.
Auch Mobilfunklücken bleiben ein Problem, insbesondere in abgelegenen Gebieten. Für Berufstätige im Homeoffice ist eine stabile Internetverbindung jedoch unverzichtbar – sie entscheidet darüber, ob ein Ort als Wohn- und Arbeitsstandort infrage kommt oder nicht. Neben dem Ausbau des Breitbandnetzes ist auch die Verbesserung des Mobilfunks entscheidend, um ländliche Regionen zukunftsfähig zu machen.
Soziale Infrastruktur: Mehr als nur Bandbreite
Die digitale Infrastruktur allein reicht jedoch nicht aus, um Menschen langfristig in ländlichen Regionen zu halten. Ebenso wichtig ist eine funktionierende soziale Infrastruktur: Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung und kulturelle Angebote sind essenziell für die Lebensqualität. Doch gerade in diesen Bereichen kämpfen viele kleinere Gemeinden mit Defiziten. Schulschließungen, ausgedünnte Buslinien oder fehlende Ärzt:innen sind real existierende Barrieren, die das Leben auf dem Land erschweren können.
Digitale Lösungen können hier Abhilfe schaffen – etwa durch virtuelle Gemeindebüros, Online-Bürgerdienste oder Telemedizin-Angebote. Diese Ansätze ermöglichen es den Bewohner:innen, wichtige Dienstleistungen auch ohne lange Wege zu nutzen. Dennoch ersetzen sie nicht das Bedürfnis nach physischer Nahversorgung und sozialer Interaktion vor Ort. Begegnungsorte wie Dorfläden oder Kulturzentren bleiben unverzichtbar für ein lebendiges Gemeindeleben.
Förderprogramme: Impulse für den ländlichen Raum
Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat erkannt, dass der ländliche Raum gezielt gefördert werden muss, um von den Chancen des Homeoffice-Booms zu profitieren. Mit einer Vielzahl von Förderprogrammen setzt sich das Land dafür ein, strukturschwache Regionen zu stärken und attraktiver zu machen.
Ein Beispiel ist die sogenannte „LandArztQuote“, mit der junge Mediziner:innen dazu motiviert werden sollen, sich in unterversorgten Gebieten niederzulassen. Auch Breitbandinitiativen und Programme zur Förderung von Coworking-Spaces im ländlichen Raum spielen eine wichtige Rolle. Ziel ist es nicht nur, digitale Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, sondern auch soziale Treffpunkte zu etablieren.
Besonders hervorzuheben ist das Smart-City-Modellprojekt im Amt Süderbrarup im Kreis Schleswig-Flensburg. Seit 2021 wird dort mit digitalen Werkzeugen experimentiert – von Online-Bürgerdiensten über lokale Informationsplattformen bis hin zu smart gesteuerter Infrastruktur wie intelligenter Straßenbeleuchtung oder digitalisierten Abfallmanagementsystemen. Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist dabei die aktive Bürgerbeteiligung: In Workshops und Online-Formaten entwickeln die Bewohner:innen gemeinsam Ideen für ihr digitales Dorf.
Coworking-Spaces: Neue Perspektiven für Arbeit und Gemeinschaft
Ein weiterer Ansatz zur Belebung ländlicher Regionen sind dezentrale Coworking-Spaces. Im Kreis Nordfriesland wurden mit Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) mehrere solcher Räume geschaffen – etwa in Husum und umliegenden Gemeinden. Diese Spaces bieten nicht nur moderne Arbeitsplätze für Pendler:innen und Freelancer:innen, sondern dienen auch als soziale Treffpunkte.
Die Nachfrage nach diesen Angeboten ist groß: Viele Räume sind regelmäßig ausgebucht – ein Zeichen dafür, dass neue Arbeitsformen auch neue Gemeinschaftsformen nach sich ziehen können. Coworking-Spaces tragen zudem dazu bei, leerstehende Immobilien wiederzubeleben und lokale Wirtschaftskreisläufe zu stärken.
Ein Blick über den Tellerrand: Strategien anderer Bundesländer
Auch andere Bundesländer setzen auf ähnliche Strategien zur Stärkung ihrer ländlichen Räume. In Bayern etwa wird über das Landesentwicklungsprogramm gezielt in Coworking-Infrastruktur investiert, um Abwanderung zu stoppen und neue Bewohner:innen anzuziehen. Niedersachsen wiederum testet innovative Ansätze zur digitalen Daseinsvorsorge in Kooperation mit kommunalen Verwaltungen.
Im Vergleich zeigt sich jedoch: Schleswig-Holstein gehört zu den Vorreitern bei der Digitalisierung des ländlichen Raums – insbesondere durch seine Fortschritte beim Breitbandausbau und Projekte wie das Smart-City-Modell Süderbrarup.
Langfristige Perspektiven: Chancen nutzen, Risiken vermeiden
Die Frage bleibt jedoch bestehen: Wird der Impuls des Homeoffice langfristig tragen? Oder handelt es sich um einen vorübergehenden Trend? Während einige Unternehmen nach der Pandemie wieder verstärkt auf Präsenzarbeit setzen, bleibt hybrides Arbeiten für viele Beschäftigte attraktiv – insbesondere für jene mit familiären Verpflichtungen oder einem hohen Bedürfnis nach Flexibilität.
Damit dieser Trend nachhaltig positive Effekte auf ländliche Regionen hat, bedarf es politischer Steuerung und langfristiger Investitionen in Infrastruktur und soziale Angebote. Risiken wie steigende Mieten oder Gentrifizierung kleiner Orte müssen frühzeitig adressiert werden.
Gleichzeitig zeigt sich aber auch das Potenzial: Wo digitale Infrastruktur mit sozialer Teilhabe kombiniert wird und kommunales Engagement vorhanden ist, kann aus der technischen Möglichkeit eine echte Bewegung werden – hin zu einem modernen Lebensraum mit Zukunftsperspektive.
Die Chance für ländliche Regionen: Vom Rand ins Zentrum
Der ländliche Raum hat durch den Aufschwung des Homeoffice eine neue Chance erhalten, vom Rand ins Zentrum der Gesellschaft zu rücken – nicht als nostalgischer Rückzugsort aus früheren Zeiten, sondern als zeitgemäßer Lebensraum mit moderner Infrastruktur und hoher Lebensqualität. Schleswig-Holstein hat bereits wichtige Schritte unternommen; jetzt liegt es an Politik und Gesellschaft gleichermaßen, diese Entwicklung weiter voranzutreiben.