
Die Ostsee unter Druck
Der Zustand der Ostsee gilt als besorgniserregend. Die EU-Kommission stuft sie seit Jahren als ökologisch belastet ein: Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, Überfischung, Schadstoffrückstände und der Klimawandel setzen dem sensiblen Brackwassermeer zu. Besonders kritisch ist der Sauerstoffmangel in den tieferen Becken, der zur Entstehung sogenannter Todeszonen führt – Areale, in denen kaum noch Leben möglich ist. Schleswig-Holstein als einziges deutsches Ostsee-Anrainerland steht besonders in der Verantwortung.
APOS 2030 – Ein politischer Meilenstein?
Im Frühjahr 2024 beschloss die Kieler Landesregierung unter Umweltminister Tobias Goldschmidt den Aktionsplan Ostseeschutz 2030. Es handelt sich um das umfangreichste Schutzpaket für die Ostsee in der Geschichte des Landes. APOS 2030 umfasst Maßnahmen in den Bereichen Meeresschutz, Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus und Bildung. Ein zentrales Element ist die Ausweisung neuer Schutzgebiete, deren wissenschaftliche Grundlagen bereits erarbeitet sind. Die Meeresschutzstation Ostsee hat ihre Arbeit aufgenommen, und eine Zielvereinbarung mit der Landwirtschaft zur Reduktion der Nährstoffeinträge wurde geschlossen.
Goldschmidt betont in der Pressemitteilung: „Es ist gut ein Jahr her, dass wir mit dem APOS 2030 das größte Ostseeschutzpaket in der Geschichte des Landes verabschiedet haben. Ich blicke positiv auf die ersten 12 Monate, denn wir haben viel erreicht.“
Er sagt weiter: „Ostseeschutz ist eine Generationenaufgabe und braucht einen langen Atem.„.
Begleitet wird der Aktionsplan von einem Monitoringkonzept sowie einem Beteiligungsprozess unter dem Titel „ostseeschutz.sh“, der in den kommenden Monaten in vier Ostseeanrainerkreisen starten soll. Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürger sowie relevante Akteure in die Umsetzung einzubeziehen.
Modellregion Schlei: Nährstoffwende auf dem Acker
Ein besonders ambitioniertes Beispiel für die Umsetzung des Ostseeschutzes auf regionaler Ebene ist das „Modellvorhaben Schlei“. Gefördert vom schleswig-holsteinischen Umweltministerium untersuchte ein interdisziplinäres Forscherteam, wie sich neue agrarpolitische Förderinstrumente auf Nährstoffflüsse in der Landwirtschaft auswirken. Ziel war es, Überschüsse an Stickstoff und Phosphor zu reduzieren, ohne die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Betriebe zu gefährden.
Im Fokus standen zwei Konzepte: die „schlaginterne Segregation“ – eine Aufteilung von Feldern in intensiv und extensiv bewirtschaftete Flächen – sowie die „Hybridlandwirtschaft“, bei der sich spezialisierte Betriebe gegenseitig ergänzen. Tierhaltungsbetriebe liefern Wirtschaftsdünger an Ackerbaubetriebe, die im Gegenzug Futterpflanzen bereitstellen. Dadurch lassen sich Nährstoffkreisläufe regional schließen und Belastungen für das Grund- und Oberflächenwasser reduzieren.
Die Ergebnisse sind vielversprechend: Bei moderaten Ertragsverlusten konnten die Nitrat- und Phosphoreinträge deutlich gesenkt werden. Gleichzeitig zeigen die Betriebsmodelle eine hohe Übertragbarkeit auf andere Regionen. Die Forscher fordern nun eine eigenständige Öko-Regelung für die schlaginterne Segregation innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU.
Zielkonflikte und offene Baustellen
Trotz der Fortschritte bleiben Herausforderungen: Die Reduktion von Düngemitteln bedeutet für viele Betriebe einen beträchtlichen Anpassungsdruck. Zugleich muss vermieden werden, dass Schutzgebiete zu Nutzungskonflikten mit Fischerei oder Tourismus führen. Auch die Finanzierung vieler Maßnahmen ist langfristig nicht gesichert. Die beteiligten Ministerien – vom Umwelt- bis zum Landwirtschaftsressort – müssen ihre Strategien besser verzahnen.
Kritiker fordern zudem eine konsequentere Umsetzung bestehender EU-Vorgaben, etwa der Wasserrahmenrichtlinie, sowie eine verbindlichere Ausgestaltung der Zielvereinbarungen mit der Landwirtschaft. Der Druck aus Brüssel wächst: Die EU-Kommission hat Deutschland mehrfach für die mangelhafte Umsetzung der Nitrat-Richtlinie gerügt.
Vom Projekt zur Politik?
Der Aktionsplan Ostseeschutz 2030 markiert einen wichtigen Schritt für den Meeresschutz in Schleswig-Holstein. Die ersten Erfolge sind sichtbar, und mit Projekten wie dem Modellvorhaben Schlei existieren praktikable Ansätze für eine ökologisch verträgliche Landwirtschaft. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, diese Modellansätze flächendeckend zu etablieren, die Finanzierung zu sichern und Zielkonflikte offen zu benennen.
Die Ostsee kann nur gerettet werden, wenn aus politischer Willensbekundung eine kohärente und verbindliche Umweltpolitik wird. Schleswig-Holstein hat den Anfang gemacht.
Jetzt muss der lange Atem folgen.